Die meisten Magdeburger werden mitbekommen haben, dass die Brücken der Bahn über die Ernst-Reuter-Allee erneuert werden sollen und dass seitens der Stadt geplant ist, den dort drunter fließenden Verkehr zukünftig auf zwei Ebenen übereinander vom Damaschkeplatz am City Carré vorbei nach Osten zu führen. Über den Bahnhofstunnel konnte man lange in der Zeitung lesen und auch ohne dieses Medium dürfte die Diskussion in den letzten Jahren an kaum einem Magdeburger vorbeigegangen sein. Es gab vor einiger Zeit schon einen Stadtratsbeschluss1 zum Bau des Tunnels.
Umso überraschter war ich über die Ankündigung zu einer Diskussionsrunde zum Thema, die am vergangenen Dienstag im City Carré stattfand. Aber wie man in Stuttgart sehr gut sehen konnte, sind auch nach gefassten Beschlüssen nicht alle Messen gesungen und was genau da jetzt der aktuelle Stand ist, interessierte mich und so fand ich mich dort ein.
Zu Beginn der Veranstaltung wurde zunächst ein Video mit einer Computeranimation des Projekts gezeigt. Der Stand dort entsprach meinem letzten, der zugegeben schon etwas angegraut war. Von West nach Ost haben die Autos im Tunnel eine Spur und können rechts ins Parkhaus abbiegen. In der Gegenrichtung stadtauswärts sind es zwei Fahrspuren. Nettes Detail am Rande: in der Vision der Planer halten auch wieder ICE in Magdeburg.
Nach der Begrüßung durch die Moderatorin trug der Vorsitzende des Ausschusses für Stadtentwicklung, Bauen und Verkehr (Olaf Czogalla von der SPD) in einem fünfzehnminütigen Vortrag die Argumente der Befürworter zusammen. Dass dort wegen der Sanierung der Bahnbrücken bauliche Maßnahmen notwendig sind, streiten auch die Gegner nicht ab, die Frage, um die sich alles dreht ist also das »wie«? Angeführt wurden das immernoch maßgebende Innenstadtverkehrskonzept aus den späten Neunziger Jahren. Besondere Betonung erfuhr die durch den Tunnel mögliche Entflechtung der Verkehrsströme der verschiedenen Verkehrsteilnehmer2 und die dadurch erheblich steigende Verkehrssicherheit. Eine Verlängerung des Tunnels über die Kreuzung Ernst-Reuter-Allee/Otto-von-Guericke-Straße hinweg war wohl mal überlegt aber nicht weiter verfolgt worden, wohl aus Kostengründen, auch wenn dies die für die Leistungsfähigkeit des Verkehrsflusses maßgebliche Schlüsselstelle (eben diese Kreuzung) entlasten würde. Dass zum Ende hin der Tunnel am Uniplatz als gelungenes Beispiel für ein innerstädtisches Verkehrsprojekt angeführt wurde, erschien mir ob der Vergleichbarkeit und Zielstellung etwas seltsam.
Danach hatte als Tunnelgegner Jürgen Canehl von den Grünen das Wort, der in ebenfalls etwa fünfzehn Minuten die Gegenargumente darlegte. Auch hier wurde das bestehende Innenstadtverkehrskonzept angesprochen, mit dem Hinweis, dass dort explizit drin stünde, dass Verkehr aus der Innenstadt heraus gehalten werden soll. Im Hinblick auf die diskutierte Umweltzone erschien mir das an dieser Stelle plausibler als beim Tunnelbefürworter zuvor. Die Kritikpunkte waren rein von der Anzahl her dann etwas mehr, als da wären das Problem an der östlichen Tunnelausfahrt am Berg anfahren zu müssen, Gutachten, die eine Vergrößerung des Staus voraussagen, Umsatzrückgänge der ansässigen Geschäftsleute während und nach der Bauzeit, fehlende Ausfahrt/Abbiegemöglichkeit aus dem Parkhaus Richtung Stadtfeld/Ring, Wegfall der Aufzüge von der Straßenebene zu den Bahnsteigen, noch enger werdende Radwege auf der Ernst-Reuter-Allee in Höhe City-Carré, entfallende Parkplätze am Kölner Platz, unzureichende Baugrunduntersuchungen, unberücksichtigte Grundwasserströme und schließlich nicht geprüfte Alternativkonzepte. Speziell beim letzten Punkt stellten sich mir ob des geplanten Investitionsvolumens dann doch mal die Nackenhaare auf, wobei ich hier natürlich auch keine Möglichkeit hatte den Punkt nachzuprüfen.
Nach einer zehnminütigen Kabaretteinlage von Lars Johansen begaben sich dann die fünf Kandidaten zur Landtagswahl des Wahlkreises Magdeburg Mitte auf’s Podium. Inhaltlich passte das nicht so super zu einem kommunalpolitischen Thema, aber ich wollte zumindest so lange bleiben, bis jeder der Kandidaten mal etwas gesagt hatte. Den Anfang macht der Kandidat der CDU. Nach einem kurzen »Was gibt es dagegen einzubringen? Das ist doch schon beschlossen.« war er damit durch und bei mir auch, keine weiteren Fragen. Immerhin erwähnte er noch ein mir bis dato unbekanntes Eisenbahnkreuzungsgesetz3 und skizzierte kurz, inwieweit Landtag und Landesregierung Einfluss auf das Projekt haben.
Der Kandidat der Linken bemängelte in der Folge die fehlende Bürgerbeteilung und führte hierfür den Bürgerentscheid zur Ulrichskirche ins Feld. Auch er bemängelte die fehlenden Alternativen oder die Prüfung derselben, wiederholte ansonsten aber nur bereits vorgebrachte Argumente. Sören Herbst von den Grünen erwähnte danach, dass es einen Antrag auf Bürgerentscheid der Grünen gegeben hatte und hatte auch ein paar Seitenhiebe für die Herren Dähre und Trümper von der SPD in petto. Immerhin erläuterte er, dass es wegen wohl bereits bestehender Verträge schwierig sei, jetzt in dem Projekt noch einen Schritt zurück zu machen, erntete aber als erster Kandidat Beifalll vom Publikum.
Als nächster betonte Sven Haller von der FDP dann, dass der Verkehr während der Bauzeit nicht komplett gesperrt wäre, was so aber auch bereits in den Ausführungen im ersten Vortrag klar wurde. Nach einer Beschwerde in Richtung Tunnelgegner, warum sie denn keine Stimmen für einen Bürgerentscheid gesammelt hätten, verfing er sich aber in fahrigen Ausführungen, was die Diskussion denn überhaupt solle und dass er lieber über Themen zur Landtagswahl diskutieren würde. Daraufhin erhielt Herr Wendenkampf aus dem Publikum das Wort, der die Ausführungen Hallers als »Frechheit« bezeichnete. Von ihm kamen dann tatsächlich auch noch ein paar interessante Punkte, unter anderem die Frage nach der Förderung durch die EU. Sollte das Projekt bereits offiziell gestartet worden sein, würde man keine Fördermittel mehr bekommen können, so Wendenkampf. Seien aber noch keine Verträge unterzeichnet, gäbe es auch noch den Weg zurück. Für derartige juristische Prüfungen würden wohl Spenden durch den BUND gesammelt.
Kurz bevor ich ging, dann noch das Argument, dass die durchführenden Bauunternehmen für ein solches Großprojekt aller Wahrscheinlichkeit nach nicht aus Sachsen-Anhalt kommen werden, dann verließ ich die Veranstaltung Richtung Sport. Falls noch jemand da war, hätte mich nochmal der Verlauf der anschließenden Diskussion interessiert. Fazit für mich: einige offene Fragen, darunter warum Alternativen nicht geprüft wurden und ob es jetzt noch ein Zurück aus dem Tunnelprojekt geben könnte? Der darüber hinaus entstandene Eindruck von den Parteienvertretern hat allerdings nur meine bereits bestehende Meinung verfestigt.